Abschied von Longest F. Stein
„Sehtest mit Ansage“ hat Weimarer Fotograf Claus Bach seinen ganz persönlichen Nachruf auf den Galeristen und Veranstalter Longest F. Stein (6. April 1953 – 16. November 2023) überschrieben. Er erinnert sich auf seiner Website an seine im Juni 1988 in Treptow, Ostberlin, installierte Personalausstellung in der Galerie im Kreiskulturhaus Treptow. „Longest hatte dort schon ein paar Jahre Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. Anfangs noch ehrenamtlich, später angestellt. Dabei hat ihn sein Instinkt für auffällige und sperrige Talente stetig angetrieben. So ist er zu einer Institution für jene Malerei und vor allem Fotografie geworden, die sich so gar nicht mit den sozial-realistischen Vorstellungen der staatlichen Kulturfunktionäre decken wollte und ständig ihrem Argwohn ausgesetzt war. Jedes mal riskierte er einen Balanceakt…“
So wie er erinnerten sich Künstler und Weggefährten am 11. Februar 2024 in der Galerie Adlershof an Longest, der sich der Förderung und Entdeckung von Kreativen verschrieben hatte, die mit dem Medium Fotografie und Performance experimentierten. Er organisierte für sie den Raum zur öffentlichen Präsentation. „Organisieren, das kann ich“, sagte er. Die Publikation „Sehtest“ hatte er der „Geschichte einer Galerie gewidmet.“ Eine Spurensicherung, die inzwischen noch mehr an Gewicht gewonnen hat.
Ute Müller-Tischler vom Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte in Berlin-Mitte eröffnete die Gedenkveranstaltung für Longest F. Stein: „In einer Zeit bahnbrechender gesellschaftspolitischer Übergänge begleitete er die künstlerischen Umbrüche … der alternativen Foto- und Kunstszene seiner Generation. Von 1980 bis Anfang der 1990er Jahre verschaffte er der Galerie im KKH in der Puschkinallee ein einzigartiges und unvergessliches Profil. Wer von uns erinnert sich nicht an seine Ausstellungen. Für mich beginnt die Erinnerung mit Ulrich Wüst, Florian Merkel, Maria Sewcz, Michael Scheffler, Micha Brendel und Else Gabriel , York der Knöfel, Kurt Buchwald oder Bernd Borchardt, um nur einige zu nennen. Als ihn 1991 Conny Albrecht ins Studio bildende Kunst holte, bauten sie gemeinsam das Profil der beiden Galerien zur Galerie Treptow im Studio bildende Kunst Baumschulenweg kontinuierlich und erfolgreich aus. Es war dann ein Schock als der Bezirk die Galerie Treptow schloss, fast ungehört ging hier ein legendärer Kunstort unter. Longest machte weiter und gründete mit mir für das Bezirksamt das Kunst- und Medienzentrum als Vision für den abgelegenen Ort in der Nähe des Wissenschaftsquartiers in Adlershof. Seine Verdienste an diesem Ort noch weiter draußen greifen fast nahtlos auf, was er einst in der Puschkinallee ins Leben gerufen hatte. Aber auch hier kam das Ende schnell. Nach fünf Jahren beschloss das Bezirksamt, dass Longest seinen Hut nehmen sollte, aber auch ich musste weiterziehen. Was passierte dann? Wir haben uns aus den Augen verloren und jeder ging seiner Wege. Longest und mich verbanden viele Jahre der Zusammenarbeit und Reibereien. Wir beide waren Getriebene und Vertriebene und haben uns wohl deshalb auch geschätzt. Danke Longest, ich habe eine Menge von Dir gelernt. Deine Galerien waren Schmelztiegel und Knotenpunkte im Netzwerk der Kulturgeschichte der DDR und Ostberlins, aber ebenso der Wendezeit. Künstlerinnen und Künstler, die hier ausstellten waren und sind namhaft für diese Zeitenwende. Der Band ‚Sehtest‘ dokumentiert herausragend seine Arbeit und die einer Geschichte der Übergänge, einer Geschichte der Verluste und Unzulänglichkeiten aber besonders der Erkenntnisse über Möglichkeiten und Schönheiten von Kunst und Fotografie.“ (Auszug)
Tina Bara und Else Gabriel, Joerg Waehner und Christoph Tannert erinnerten an den Mann, der mit seinen kleinen Marotten als ein streitbarer, kommunikativer, kreativer, liebenswerter, manchmal skurieller Zeitgenosse in Erinnerung bleiben wird. „Die großen Auftritte des umtriebigen Impresarios mit dem ausladenden Hut sind schon jetzt zeitlos“, schreibt Claus Bach. Joerg Waehner hat mit dem künstlerisch gestalteten Porträt eine bleibende Erinnerung geschaffen.
Longest war auch ein großer Musikfreund, hatte unzählige Alben auf seinem Rechner gespeichert und stellte für Besucher seines „Raumschiffs“ nicht nur Cocktails aller Stilrichtungen zusammen, sondern auch ein abgestimmtes Musikprogramm. Seine Lieblingsband, die Bolschewistische Kurkapelle, spielte nun in der Galerie in Adlershof und sorgten für die Stimmung, die er geliebt hat. Seit seiner Jugendzeit bis ins vergangene Jahr war er der Jazzwerkstatt Peitz verbunden und besuchte das Festival in der Niederlausitz.
Eine Kurzbiografie gibt es bei wikipedia. Videoschnipsel von der Bolschewistischen Kurkapelle sind bei Facebook zu finden.